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Zukunft der Weltläden – Weltläden der Zukunft

Auf Initiative des Kieler Weltladens und mit Genehmigung von Martin Klupsch vom Bonner Weltladen hier sein Beitrag zum Thema „Zukunft der Weltläden“, der am 6. April im Forum auf der EL PUENTE-Homepage veröffentlicht wurde:

Da ich verschiedentlich danach gefragt wurde, stelle ich im Folgenden den Text, der die Grundlage meiner Beiträge bei den Seminaren in Nordstemmen und Würzburg bildete, ins Forum. Kommentare und Anmerkungen sind ausdrücklich erwünscht.

Die Frage nach der Zukunft der Weltläden kann man auch „Warum Weltläden?“ formulieren. Warum gibt es Weltläden? Was macht sie wichtig, notwendig, unverzichtbar? Was leisten sie, was ohne sie fehlen würde? Was „rechtfertigt“ den Einsatz 10.000er Freiwilliger in den Weltläden und Aktionsgruppen? Warum sollen ungezählte Menschen ihre Freizeit und ihr Engagement in diesen Bereich einbringen? Wofür braucht es Weltläden?

Eine Antwort, die auch in aktuellen Beiträgen zur Zukunftsdiskussion häufig gegeben wird, lautet: Es braucht Weltläden, um die Produkte der HandelspartnerInnen zu verkaufen, sie an den Mann und an die Frau zu bringen. Und Weltläden sollen „professioneller“ werden, in Toplagen umziehen, bezahltes Verkaufspersonal haben, um für die ProduzentInnen noch mehr Umsatz zu machen.

Zu Beginn des Fairen Handels waren Weltläden (und Aktionsgruppen) tatsächlich die wesentlichen Absatzkanäle für dessen Artikel. Zunächst war es sogar ein Monopol, welches erst Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts aufgeweicht wurde, als Artikel der GEPA auch in einzelnen Supermärkten angeboten wurden. Die Einführung des TransFair-Siegels Anfang der 90er Jahre weitete das Angebot fair gehandelter Produkte in Supermärkten und Discountern mehr oder weniger flächendeckend aus, zunächst nur für Kaffee, über die Jahre für immer mehr Artikel. War diese Konkurrenz auch von den Weltläden häufig stark befürchtet worden, so stellte es sie als wichtigsten Vertriebskanal für fair gehandelte Produkte doch zunächst nicht in Frage.

Heute stellt sich die Situation grundlegend anders dar: Aufgrund der starken Ausweitung des FT-Sortiments und der Anbieter bis hin zum Discounter Lidl und Tchibo, ist der Anteil der Weltläden und Aktionsgruppen am FT-Umsatz deutlich gesunken. Zwar spielen die Weltläden in Deutschland noch eine vergleichsweise große Rolle, gemessen am Gesamtumsatz fair gehandelter Artikel reduziert sich der Anteil aber auf eine Größenordnung von geschätzten 2-3 Prozent -Tendenz weiter sinkend. Das Argument, dass es Weltläden braucht, um für die ProduzentInnen die Waren zu verkaufen, verliert also zunehmend an Gültigkeit und Gewicht.

Wenn nun aber die Notwendigkeit von Weltläden als Absatzkanäle fair gehandelter Produkte nicht mehr gegeben ist bzw. deren Bedeutung zunehmend marginal wird, wenn sich zeigt, dass auch in Deutschland immer mehr fair gehandelte Produkte im „normalen“ Handel verkauft werden, wenn dazu die Sorge der zunehmenden Konkurrenz und vielleicht stagnierende oder gar rückläufige Umsätze kommen, dann stellt sich ganz deutlich die Frage nach dem „Warum“. Ist das Engagement der Freiwilligen dann nicht besser in anderen Aktivitäten aufgehoben, wo sie sich z.B. dafür einsetzen, fair gehandelte Produkte im Normalhandel weiter zu etablieren? Eigene Läden braucht es dafür nicht. Und als „Fundraising-Methode“ zur Projektunterstützung gibt es wesentlich effektivere Methoden.

Angesichts dieser Situation kann man denn auch immer wieder einmal die These vernehmen, die Weltläden wären überflüssig geworden, da es die fair gehandelten Produkte ja flächendeckend im konventionellen Handel gibt.

An dieser Stelle lohnt ein Blick zurück in die Geschichte des Fairen Handels.
Warum gibt es überhaupt Weltläden? Was war der Gründungsimpuls, welche Ziele wurden verfolgt? Und da sehen wir, dass es von Anfang an nicht einfach nur ums Verkaufen ging:

Am Anfang des Alternativen Handels stand nicht ein Produkt oder Handelspartner, war nicht eine Aktionsgruppe oder ein Weltladen. Am Anfang des Alternativen Handels stand eine Erkenntnis: Die Einsicht, dass die herrschenden Wirtschaftsstrukturen einseitig zum Vorteil des (entwickelten) Nordens und zum Nachteil des (in Unterentwicklung gehaltenen) Südens, häufig ehemaliger Kolonien, funktionieren. Die Einsicht, dass es historische und strukturelle Ursachen der Unterentwicklung gibt. Die Einsicht, dass Entwicklung und Unterentwicklung, Reichtum und Armut, unser Reichtum und „deren“ Armut, etwas miteinander zu tun haben. Die Einsicht, dass es kein unbegrenztes Wachstum in einer begrenzten Welt geben kann. Die Einsicht, dass die Erde alle Menschen ausreichend ernähren kann, dass Hunger nicht im Mangel an Nahrungsmitteln begründet ist, sondern dass es sich um ein Verteilungsproblem handelt, um einen Mangel an Kaufkraft. Die Einsicht, dass wir über unsere Verhältnisse und auf Kosten anderer leben, daß sich an unserem Konsumverhalten, an unserem Lebensstil etwas ändern muß, wenn alle leben sollen und der ökologische Kollaps verhindert werden soll.

Eine Konsequenz aus den gewonnen Erkenntnissen war, dass man eine andere, eine Neue Weltwirtschaftsordnung forderte, welche die strukturelle Benachteiligung der Länder des Südens aufheben sollte. Man wollte nicht weniger als einen Systemwechsel, und damit waren nicht Neoliberalismus und Turbo-Kapitalismus gemeint. Der Verkauf, der konkrete Handel und mit ihm die Weltläden waren Ergebnis und Ausdruck der Einsicht in ungerechte Handelsstrukturen. Der Alternative Handel verdeutlichte diese und die Notwendigkeit ihrer Überwindung und lieferte mit dem Verkauf von Produkten besonders benachteiligter ProduzentInnen zugleich eine Praxis und ein Beispiel für die Überwindung, für eine Alternative. Das ist – verkürzt – gemeint, wenn vom Alternativen Handel als einem Lern-, Bildungs- und Aktionsmodell die Rede ist.

An der Gültigkeit der Analyse und Bestandsaufnahme, an der Notwendigkeit eines Systemwechsels, hat sich nicht geändert. Die ungerechten Strukturen wirken noch immer, und auch unser Konsum hat noch längst kein nachhaltiges Niveau erreicht.
Was sich aber verändert hat, ist der Faire Handel.

Aus der politischen Initiative des Alternativen Handels mit dem Ziel der Überwindung struktureller Ungerechtigkeiten, mit dem Ziel, die Regeln des Handels so umzugestalten, dass der Alternative Handel letztlich überflüssig wird, aus dieser Initiative und Bewegung ist nach und nach eine Vermarktungsinitiative für fair gehandelte Produkte geworden, die sich mehr und mehr am Bedarf und an den Wünschen des Handels (und der VerbraucherInnen) hier, im Norden, orientiert. Ziel ist, den Absatz fair gehandelter Artikel – zum Wohl der ProduzentInnen – zu erhöhen, die Frage nach den Ursachen, die so etwas wie Fairen Handel erst notwendig werden lassen, wird nicht gestellt. Die Frage nach sinnvoller Entwicklung in den Ländern des Südens (und bei uns) wird nicht gestellt. Unser Konsum und Lebensstil werden nicht in Frage gestellt, sondern mit einem Siegel legitimiert. „Konsum gegen Armut“ – dieser Slogan der „Informationskampagne“ „Fair feels good“ treibt diese Ausrichtung auf die Spitze. Aus einer systemkritischen Bewegung auf der Suche nach Alternativen ist weitgehend eine systemkonforme Vermarktungsinitiative geworden. Der Faire Handel ist, so wird häufig mit Stolz vorgetragen, in der Mitte der Gesellschaft, im Mainstream angekommen – was bei näherem Hinsehen nichts anderes bedeutet, als dass der Faire Handel in das System integriert ist, welches zu ändern er angetreten ist.

Fragen wir uns: Was bedeutet es, im Mainstream einer Gesellschaft angekommen zu sein, in der die Zahl der Armen zunimmt und die Schere zwischen Armen und Reichen sich immer weiter öffnet? In der es keinen flächendeckenden Mindestlohn gibt und viele Menschen in Vollbeschäftigung unter der Armutsgrenze leben. In der Milchbäuerinnen und Milchbauern streiken, weil der Handel die Preise unter die Produktionskosten drückt. In der das Verschrotten völlig intakter und gebrauchsfähiger Autos (also privater Vermögenswerte) mit 2.500 Euro aus öffentlichen Mitteln (sprich: Steuergeldern) prämiert wird. Die auf dem besten Weg ist, Konsum zur ersten Bürgerpflicht zu erklären, ohne das auch nur irgendjemand danach fragt, was und wofür konsumiert wird, fragt, wo und worin denn der Bedarf besteht. Konsum ist endgültig und offensichtlich zum Selbstzweck geworden. Ein Skandal angesichts hunderter Millionen Menschen, die nicht einmal annähernd ihre Grundbedürfnisse decken können.

„Aber der Faire Handel der Weltläden setzt doch andere Akzente!“ mag jetzt manch eineR einwenden. Es stimmt: Von vielen Gesprächen weiß ich, dass ein Großteil der Aktiven in den Weltläden ein anderes Selbstverständnis hat. Sie stellen die Mechanismen der Ausbeutung durchaus in Frage und verstehen ihr Engagement als Beitrag zu deren Überwindung. Sie wissen: Überflüssig wird der Faire Handel nicht dann, wenn alles, was es im Weltladen zu kaufen gibt, auch im normalen Handel zu bekommen ist, sondern wenn der Handel, die Regeln des Handels insgesamt „fair“ geworden sind. Für sie geht es nicht nur (vielleicht noch nicht einmal in erster Linie) um den Verkauf. Es klafft eine Lücke zwischen der Einstellung/Motivation zahlreicher WeltladenmitarbeiterInnen und der Darstellung/den Zukunftsentwürfen von und für Weltläden, wie sie z.B. vom Weltladen-Dachverband oder der GEPA und anderen verbreitet werden. Es klafft eine Lücke zwischen dem eigenen Verständnis, der eigenen Vorstellung, was Fairer Handel sein sollte, und dem, wie der „Faire“ Handel sich entwickelt. Diese Lücke zeigt sich auch auf Plakaten, in Broschüren und sonstigen Materialien. Mit welchen Aussagen und Inhalten gehen die ATOs und der Weltladen-Dachverband an die Öffentlichkeit? Welche Botschaften transportieren aktuelle Plakate für die Weltladen-Deko? „Fairrückt“, „Fairliebt“, „Fairführt“ und „Fairzückt“ u.s.w. titeln die „Image-Plakate“ des Weltladen-Dachverbands. Wer in einen Weltladen gerät, ohne zu wissen, um was für einen Laden es sich handelt, ist angesichts dieser Plakatierung wahrscheinlich einigermaßen fairwirrt.

„Systemwechsel“ – so titelte nicht ein Fairhandels-Magazin, sondern der medico-Rundbrief vom Herbst 2008 und schreibt im Editorial: „Dem Zusammenbruch der neoliberalen Ideologie beizuwohnen, ist ein historischer Moment.“ Zeitgleich ist ein Schwerpunktthema der Winterausgabe des vom Weltladen-Dachverband herausgegebenen Weltladen-Magazins „Welt&Laden“ der „Wohntrend Cocooning“: „Einspinnen in ein gemütliches Zuhause“: „Sich behaglich verkriechen, und bei einer heißen Tasse Tee den Winter überstehen …“.

Seit geraumer Zeit sehen wir in Materialien zum Fairen Handel fast nur noch fröhliche, glückliche Menschen, oft ProduzentInnen/Handelspartner, denn „niemand möchte dauernd mit dem Elend der Welt konfrontiert werden“, wie das formelhafte Argument zu solchen „schönen“ Plakaten lautet. Das stimmt, aber zwischen „dauernd“ und „gar nicht“ gibt es einige Abstufungen. Ein aktuelles Plakat der GEPA titelt „Entdecke die Welt“. Zur Entdeckung der Welt gehört aber eben auch die Schattenseite, gehört die Auseinandersetzung mit den Schrecken der Welt. Und ich kenne viele (und das schließt mich ein), die durch die Konfrontation mit den Schrecken der Welt, aus der Wut darüber und dem Bedürfnis, ihnen etwas entgegen zu setzen, zu ihrem Engagement (auch für den Fairen Handel) gekommen sind.

Die Weltläden der Zukunft müssen sich in dem veränderten und sich weiter verändernden Feld des Fairen Handels positionieren und ein eigenes Profil entwickeln, das sie vom kommerziellen, trans-fairen Handel deutlich abhebt.

Die Weltläden müssen den Blick wieder auf Strukturen, Profiteure und Täter der Ungerechtigkeit und Ausbeutung lenken. Neben dem Verkauf muß wieder betont werden, dass die Veränderung der Strukturen, des Systems, das Hilfe erst notwendig macht, das eigentliche Ziel ist. Da dies vom kommerziellen transfairen Handel nicht zu erwarten ist, ergibt sich hier – und zwar deutlich mehr und schärfer als über das Sortiment – auch ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal für die Weltläden und ein ganz wesentliches Argument für ihre Existenz.

Die Zukunft der Weltläden liegt nicht in immer „schickeren“ Läden und immer „professionelleren“ VerkäuferInnen. Um nicht missverstanden zu werden: Weltläden sollen gut und ansprechend aussehen und zum Eintreten, Verweilen und Kaufen einladen. Das Verkaufspersonal soll kompetent und freundlich sein. Aber das sind Selbstverständlichkeiten, wenn man einen Laden betreibt, und bei den allermeisten Weltläden Realität. Hier ist ohne Zweifel in den vergangenen Jahren viel erreicht worden. Aber verkaufen können „richtige“ Läden im Zweifel immer noch besser. Die Zukunft der Weltläden liegt in dem, was der „normale“ Handel nicht bieten kann, nicht bieten will und nicht bieten wird: Die Verknüpfung von (entwicklungs-)politischer Information und Bildungsarbeit mit dem Verkauf fair gehandelter Produkte, und das in der Fläche und auch in kleinen Orten, in denen ein nach wirtschaftlichen Kriterien funktionierender Laden sowieso keine Chance hätte. Der entscheidende Faktor für die Profilierung der Weltläden ist nicht das äußere Erscheinungsbild, sondern das inhaltliche Profil.

Der Weltladen der Zukunft nimmt wieder (wie in den Anfängen) „das Ganze“ in den Blick. Wenn es strukturelle Ursachen, eine strukturelle Ungerechtigkeit gibt, dann ist sie nicht auf den Süden beschränkt. Gerechtigkeit ist unteilbar und wo Strukturen des Handels- bzw. Wirtschaftssystems Ungerechtigkeit hervorbringen, macht die Unterscheidung zwischen Süd und Nord, „dort“ und „hier“ keinen Sinn. Dann erkennen wir: Zum einen werden die Strukturen vielfach von uns bestimmt – daher müssen wir hier ansetzen, um sie zu verändern. Und wir erkennen: auch bei uns gibt es (zunehmend) Opfer dieser ausbeuterischen Strukturen. Weltläden informieren, laden zum Mitmachen ein, fordern zum Einmischen auf, bieten – mit ihrem (Produkt- und Informations-)Angebot konkrete Handlungsmöglichkeiten. Wir erkennen weiter: es gibt zahlreiche Initiativen, Gruppen, Verbände, die sich für Veränderungen in dieser Gesellschaft einsetzen. Der Weltladen der Zukunft unterstützt solche Gruppen und kooperiert mit ihnen.

Die folgende Liste ist sicher unvollständig, und die konkrete Ausgestaltung wird im gemeinsamen Austausch der Weltläden, die ein entsprechendes Selbstverständnis teilen, geschehen. Ich möchte nur einige stichwortartige Anregungen und Beispiele geben, welche Praxis einen Weltladen der Zukunft kennzeichnen könnte. Dabei sind die meisten Beispiele der Praxis verschiedener Weltläden entnommen, d.h. keine Zukunftsmusik, sondern bereits gelebter Weltladen.

Weltläden der Zukunft

  1. Wissen, dass Wirtschaftswissenschaft keine Naturwissenschaft ist und die Regeln des Marktes keine Naturgesetze.
  2. Arbeiten in lokalen, regionalen und überregionalen Netzwerken mit Initiativen zusammen, die ebenfalls die Prämissen des Wirtschaftens umkehren wollen, die unter den herrschenden Prämissen zu Opfern des Systems werden. Dies kann kontinuierlich oder punktuell zu einzelnen Themen und Aktionen geschehen.
  3. Benennen Täter, Opfer und Profiteure herrschender Wirtschafts- und Machtstrukturen
  4. Diskutieren Entwicklungsmodelle (In welcher Gesellschaft wollen wir leben?)
  5. Sie diskutieren ihr Verständnis von Fairem Handel und formulieren und kommunizieren dies ggf. auch in Abgrenzung und im Gegensatz zu Trittbrettfahrern oder Siegelorganisationen oder auch Importorganisationen.
  6. Weltläden der Zukunft thematisieren ungerechte Strukturen im Süden und bei uns. Sie machen deutlich, dass ein Lidl mit einem Dutzend fairer Produkte im Regal oder ein Tchibo mit ein zwei fairen Kaffeesorten immer noch mehr Teil des Problems als Teil der Lösung sind. Sie setzen sich dafür ein, dass die Kriterien für Fairen Handel entsprechend enger gefasst werden oder distanzieren sich von unzureichenden Kriterien für das FairTrade-Label ebenso wie von entwicklungspolitisch und ökologisch unsinnigen Entwicklungen. (Beispiele hierfür sind transfair-zertifizierte Baumwolle, wobei für das fertige Textil/Kleidungsstück für die Verarbeitung lediglich die Kernnormen der ILO gelten müssen, gleichwohl aber das TF-Label das fertige Produkt schmückt; transfair-gesiegelter Apfelsaft aus Südafrika sowie transfair-zertifizierte frische Äpfel, Birnen und Pflaumen aus dem Süden; Vertrieb fairer Produkte über unfaire Kanäle (Lidl); – Sie gewinnen die fahrlässig und unnötig aufgegebene Definitionsmacht darüber, was „fair“ ist zurück – oder wählen einen anderen Begriff (z.B. partnerschaftlicher oder solidarischer Handel).
  7. Zielen mit ihren Kampagnen auf eine Thematisierung und Veränderung „unfairer“ und ungerechter Regeln und Strukturen im Welthandel (Wie wäre es z.B. mit einer Kampagne, die das Ziel hat, den Handel mit und den Verkauf von Produkten zu verbieten, die unter Bedingungen hergestellt werden, die bei uns verboten sind, z.B. ausbeuterische Kinderarbeit. Der Handel mit diesen Artikeln würde Hehlerei darstellen und wäre strafbar. Im Bereich Kindesmißbrauch durch Sextouristen ist ein solches Vorgehen bereits möglich: Straftaten, die im Ausland begangen werden, können hier verfolgt und bestraft werden. Entsprechend könnte doch der Handel verpflichtet werden, sicherzustellen, dass die Produkte, die er anbietet, nicht unter menschenverachtenden und bei uns verbotenen Produktionsbedingungen hergestellt wurden.)
  8. Sie setzen sich für Fairen Handel auch im eigenen Land ein. So wie einige Handelspartner im Süden eigene Läden in ihren Ländern betreiben (Süd-Süd-Handel, der oft als beispielhaft angeführt wird), so finden sich im Weltladen der Zukunft selbstverständlich fair produzierte und gehandelte Produkte aus der Region und aus Europa. Vom Apfelsaft und Honig aus der Region über Olivenöl aus Kreta und Tomatenkonserven aus Italien bis hin zu Produkten aus Behindertenwerkstätten (von denen z.B. auch die Ladeneinrichtung, Displays, etc. hergestellt werden kann.) Und dies sind keine „Ergänzungsprodukte“, sondern fester Sortimentsbestandteil. Über den Verkauf werden lokale und regionale Netzwerke geknüpft und Initiativen wirtschaftlich unterstützt.

Um ein Bild von vorhin aufzugreifen: In der Hauptströmung (nichts anderes heißt „Mainstream“) ist – wie der Name sagt, die Strömung am stärksten. JedeR, der/die schon einmal in einem großen Strom geschwommen oder gepaddelt ist, weiß, dass man in der Mitte des Stroms, in der Hauptströmung, nicht mehr wirklich schwimmen kann, schon gar nicht gegen den Strom. Man kann sich treiben lassen, aber die Richtung wird durch die Strömung bestimmt und nicht durch den Schwimmer. Man kommt nicht mehr gegen die Strömung an und eine Richtungsänderung ist praktisch unmöglich. Zukunft und Perspektive für die Weltladenbewegung liegen in Ufernähe und nicht im Mainstream. In Ufernähe ist es mit vergleichsweise wenig Anstrengung möglich, auch gegen den Strom zu schwimmen. Auch Staumauern und Kanäle (um den Strom umzuleiten) baut man vom Ufer aus. Und schließlich findet sich am Ufer und in den Kehrwässern auch das „Strandgut der Globalisierung“. Um eine Antwort auf die Frage nach der Zukunft der Weltläden und den Weltläden der Zukunft anzudeuten: Nicht der Faire Handel muß im Mainstream ankommen, der Mainstream muß fair werden! Dieses Motto müssen sich die Weltläden (wieder) unübersehbar auf die Fahnen und Plakate schreiben.

Martin Klupsch

Weltladen Schrittmacher

„Weltläden müssen sich als Trendsetter verstehen und Lanzen brechen für fair gehandelte Produkte“, fordert Marten Freund. Keine ideologischen Überlegungen, sondern wirtschaftliches Kalkül veranlassen den Kieler Feinkosthändler zu der Aussage. In seinem Schlemmermarkt verkaufen sich besonders Kaffee und Tee aus fairem Handel besonders gut.

„Der Fairtrade-Bereich ist ausbaufähig; es müsste noch viel mehr Produkte, wie beispielsweise Nudeln, im Lebensmittelbereich geben“, sagt Freund. Von insgesamt 35.000 vorrätigen Artikeln in seinem Geschäft stammen 100 aus fairem Handel und 1000 Artikel sind Biowaren. Das Bewusstsein habe sich geändert und vor allem junge Menschen seien offen für ,Ökoangebote‘. „Die Bioläden haben es vorgemacht und die Supermärkte ziehen nach, denn die Kunden wollen ihren gesamten Einkauf in einem Geschäft erledigen – ob sie nun Bio-, Fairtrade- oder konventionelle Produkte kaufen.“

Kein Verständnis hat der 41-Jährige für solche Weltläden, die sich gegen jede moderne marktwirtschaftliche Entwicklung sperren. „Einige sind so altbacken, da fehlt nur noch das Räucherstäbchen.“ Freunds unternehmerische Devisen lauten, 1. ein Unternehmen muss seinen Umsatz steigern und 2. ein Unternehmer braucht Ziele, sonst fehlt ihm der Ansporn: „Ohne Ziel kannst du deinen Laden auch gleich wieder schließen.“ Eine ,schöne‘ moderne Ausstattung, gut bezahlte Angestellte, ein nettes Ambiente, ein gutes Betriebsklima, eine kleine Caféteria mit Kaffee zum Mitnehmen sind Freunds Ideen für einen Weltladen-Relaunch (Neustart). „Dann geht die Geschichte auf und es werden mehr Fairtrade-Produkte verkauft“.

P.S. Wie wäre es mit einer Pasta-Woche im Kieler Weltladen, vielleicht würden die Fairtrade-Nudeln dann ihren Weg in die Kieler Supermärkte finden? 🙂

Marten Freund führt in Kiel einen Feinkost-Supermarkt mit zwei Niederlassungen und insgesamt 70 Angestellten.

Modernes Marketing und unverwechselbare Identität in den Weltläden: Unvereinbare Gegensätze oder zwei Seiten einer Medaille?

Es geht um Nord-Süd-Solidarität und darum, das Wissen über fair gehandelte Produkte und die Produktionsverhältnisse in den Ländern des Südens an die Kunden weiterzugeben. Es geht um Identität mit dem Geschäftsmodell Weltladen und um die Werthaftigkeit der Produkte. Es geht darum, aktiv zu sein für mehr Gerechtigkeit in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen wohlhabenden und armen Handelspartnern. Es geht um Aufklärung junger Menschen:

Das Engagement in Weltläden verbindet praktisches und ‚richtiges‘ Handeln.


Auf dieses Verständnis der Weltladenarbeit verständigten sich die DiskussionspartnerInnen aus dem Weltladen Kiel und dem Weltladen Neumünster beim Austausch über die Frage, ob ein auf steigenden Umsatz ausgerichtetes Marketing der Weltladenidee nütze oder schade.

An einem lauen Spätseptembertag empfingen die beiden Gastgeberinnen Eva-Lotta Göllner-Rohweder und Petra Rothenburg-Bahr aus Neumünster vier Gäste aus Kiel. – Die Enttäuschung darüber, dass einige Diskussionspartnerinnen abgesagt hatten, gesellte sich zu der kleinen Runde. Während noch beim Tee- und Kaffeekochen das Tageslicht schnell erlosch, wollten Müdigkeit und Frustration überwunden werden: Bestätigte nicht die Absage einiger Gäste die eigenen Zweifel, ob solch eine Diskussion Sinn macht? – Doch das war nicht das Thema des Abends!


Weltladen NeumünsterVom Neuanfang „ihres“ Weltladens vor sieben Jahren berichtete das Team aus Neumünster: „Mit einer ganz neuen Gruppe von sieben Frauen und Männern haben wir uns darauf verständigt, dass wir im Weltladen eine neue, moderne und ansprechende Ladeneinrichtung haben, unseren Kunden „normale“ Ladenöffnungszeiten bieten und außerdem eine hauptamtliche Stelle schaffen wollten“, erzählte Eva-Lotta Göllner-Rohweder – und damit lagen zwei kontrovers diskutierte Themen auf dem Tisch:


1. Hauptamtliches versus ehrenamtliches Engagement:

Wir haben bei uns im Weltladen in Kiel die Erfahrung gemacht, dass sich haupt- und ehrenamtliche Arbeit nicht vereinen lassen, weil die Ehrenamtler dann die Verantwortung an die hauptamtliche Kraft abgeben“, sagte Sabine Haft. An der Ungleichgewichtigkeit zwischen bezahltem und unbezahltem Engagement sei das Kieler Team fast zerbrochen, ergänzte Jürgen Stolzenburg, „alle waren nachher demotiviert, also haben wir die Stelle gestrichen“. Andere Prioritäten setzten die „Neumünsteraner“ in ihrem Team. „Eine Person muss konstant im Laden sein, den Überblick über die Geschäfte haben und für alle die Ansprechpartnerin sein“, urteilte Eva-Lotta Göllner-Rohweder. „Die Verantwortung lastet bei uns jedoch auf wenigen Schultern“, bekannte Petra Rothenburg-Bahr. Mit etwas Wehmut und mit Erstaunen hörte sie vom Alltag des 20-köpfigen Weltladenteams, das basisdemokratisch an allen Entscheidungsprozessen arbeite. „Das bedeutet allerdings, dass Änderungen nur mühsam ,erfochten‘ werden“, berichtete Sabine Haft und strich danach die besondere Situation in „ihrem“ Weltladen hervor: „Bei uns ist die Fluktuation sehr hoch, weil wir viele Studenten und Studentinnen bei uns haben. Daher muss vieles ständig wiederholt und unser Selbstverständnis regelmäßig neu definiert werden, aber wir haben dadurch auch immer Leute, die in unterschiedlichen Bereichen kompetent sind und sich an allen Prozessen beteiligen wollen.“ Ganz anders sieht die Situation im Weltladen in Neumünster aus: „In der derzeitigen Form besteht unser Team seit drei bis vier Jahren, dadurch ist die Verlässlichkeit gegeben, die wir benötigen, um wirtschaften zu können; wir müssen schließlich jeden Monat hier die Kosten decken“, erklärte Eva-Lotta Göllner-Rohweder.

Kritisch merkten die „Kieler“ an, dass ihr EngageWeltladen Kielment insofern ausbeuterische Züge habe, als die Arbeit im Weltladen keine Möglichkeit zur eigenen Versorgung biete. „Ehrenamtliches Engagement ist nur möglich, wenn die Leute finanziell abgesichert sind“, erklärte Annette Gille.


2. Marketingstrategien versus Marketingmaßnahmen
Wir haben uns der Linie des Weltladendachverbandes angeschlossen, um unseren Umsatz zu steigern und wir wachsen tatsächlich“ berichtete Eva-Lotta Göllner-Rohweder. „Je mehr wir verkaufen, desto mehr helfen wir den Produzenten und das ist schließlich unser Ziel: Den Fairen Handel nach vorne zu bringen“, ergänzte Petra Rothenburg-Bahr. „Wollen wir die Wirtschaftsbedingungen nachhaltig verändern, müssen wir unser Verständnis von Wachstum überdenken, schließlich verkaufen wir in den Weltläden viele Produkte, auf die wir hier auch verzichten könnten – wie beispielsweise Kunsthandwerksartikel“, forderte Sabine Haft. „Die Verantwortung über die Kaufentscheidung überlassen wir dem Kunden; unsere Aufgabe ist der Handel mit fair gehandelten Waren“, antwortete Eva-Lotta Göllner-Rohweder. Ob durch eine Verkaufsstrategie, die alle Weltläden auf eine „Linie“ zu bringen versuche, die Grenze zwischen fairem und konventionellem Handel überschritten werde und zu einer unkritischen Fixierung auf die Umsatzergebnisse führe, fragte Sabine Haft. „Wo bleibt beispielsweise die Solidarität mit kleinen Weltläden, wenn es bei unseren Einkäufern Rabatte für die Weltläden gibt, die hohe Stückzahlen abnehmen?“ „Wir wollen durchaus Wachstum. Aber das wollen wir nicht um den Preis, dass professioneller Verkauf als das verstanden wird, was Hauptamtler Ehrenamtlern vermitteln“, erklärte Annette Gille. „Eine alle Bereiche umfassende Marketingstrategie passt nicht zu unserem Team, einzelne Maßnahmen wollen wir jedoch in Angriff nehmen. Wie lehnen eine blinde Wachstumsideologie ab, wollen unseren Umsatz jedoch durchaus steigern“, resümierte schließlich Jürgen Stolzenburg.

Und das Fazit?


  • Der laue Septembertag war einer klaren Septembernacht gewichen.
  • Das wird sich zeigen!